Die Mammographie gilt unter Gynäkologen als gute Methode, Brustkrebs (Mammakarzinom) frühzeitig zu erkennen. Denn das spezielle Röntgengerät bildet Gewebeformationen und Mikrokalk ab, die auf Tumoren in der Brust hinweisen. Frauenärzte raten ihren Patienten daher, spätestens ab dem 50. Lebensjahr regelmäßige Kontrolluntersuchungen durch Mammographien durchführen zu lassen.

Denn die Statistiken zeigen angeblich ganz klar, wie sicher und genau die Untersuchungsmethode ist: 0,8 Prozent der Über-40-Jährigen erkranken an Brustkrebs. Mit Hilfe der Mammographie werden 90 Prozent (Sensitivität) der Tumoren erkannt. Die Fehlerquote, also die Rate, die einen bösartigen Tumor bei völlig gesunden Frauen anzeigt, liegt hingegen bei nur 6 Prozent (Spezifität). Das klingt erst einmal vielversprechend. Doch in absoluten Zahlen betrachtet, zeigt sich ein ganz anderes Bild, wie der Psychologe Gerd Gigerenzer anschaulich zeigt (Kerlikowske K. et al.: J. Am. Med. Ass. 276; 1996; S. 39-43; Gigerenzer G. & Hoffrage U.: How to improve Bayesian reasoning without instruction: Frequency formats. Psychol Rev 102; S. 684-704)

Demnach leiden 8 (0,8 Prozent) von 1.000 Frauen an dem Mammakarzinom, während 992 gesund sind. Von den 8 erkrankten Frauen können 7 (90 Prozent) Krebstumoren durch die Mammographie entdeckt werden, während das Karzinom einer Patientin unerkannt bleibt. Soweit würden die meisten von uns bei der Auswertung der Statistik übereinstimmen. Doch ganz anders sieht es bei den Falsch-Positiven aus. Denn die 6 Prozent beziehen sich ja nicht etwa auf die gleichen Ausgangswerte wie die der Erkrankten (0,8 Prozent), sondern auf die 992 gesunden Frauen. Das bedeutet also, dass insgesamt 63 von 1.000 Patienten das Ergebnis „Brustkrebs“ erhalten, obwohl sie völlig gesund sind. Mit Erschrecken hat Gigerenzer aber festgestellt, dass sowohl die Patientinnen als auch die Gynäkologen die Statistik völlig falsch bewerten. In ihrem Gedächtnis bleibt lediglich die gute Erkennungsrate von 90 Prozent hängen, obwohl durch die Mammographie 8 Mal mehr Frauen eine Fehldiagnose erhalten als wirklich erkrankt sind.

Es gibt viele, teilweise auch widersprüchliche Studien, die aufzeigen, wie viele Sterbefälle durch ein Mammographie-Screening verhindert werden können: Während die relative Sterblichkeitsrate um 25 Prozent gesenkt wird (von 4/1.000 auf 3/1.000 Frauen), sind es in absoluten Zahlen nur 1:1.000 (0,1 Prozent). Die restlichen 999 Frauen haben durch die Mammographie keinerlei Nutzen, da sie entweder trotzdem an Brustkrebs sterben (3 Frauen) oder nicht erkrankt sind (996 Frauen). Obwohl sie gesund sind, erhalten innerhalb von 10 Jahren 25 Prozent aller Frauen ein falsch-positives Ergebnis, wenn sie alle 2 Jahre eine Mammographie durchführen lassen. Und es kommt Schätzungen zufolge bei mindestens 5 Prozent dieser Frauen zu einer Brust-Operation, obwohl sie nicht erkrankt sind (beispielsweise Mühlhauser, I. et al.: arznei-telegramm 10 1999; S. 101-108; http://www.brustkrebs-info.de/patienten-info/index.php?datei=patienten-info/mammographie-screening/muehlhauser_a-t10-99.htm#oben).

Der Gynäkologe Dr. med. H.-J. Koubenec zeigt nicht nur die falsch gedeutete Statistik auf, sondern warnt zusätzlich vor den großen Risiken, die mit einer flächendeckenden Mammographie, insbesondere mit einer Fehldiagnose verbunden sind. Denn die falsch-positiv getesteten Frauen werden unnötig in Angst versetzt, während die falsch-negativ getesteten Patientinnen sich in Sicherheit wiegen, obwohl sie erkrankt sind. Gleichzeitig müssen viele Frauen ihr Schicksal als „Krebspatientin“ akzeptieren, obwohl lange nicht alle gefundenen Tumoren wirklich klinisch relevant sind.

Diese Patientinnen büßen also einen großen Teil ihrer Lebensqualität ein, obwohl der Krebs bei ihnen niemals ausbrechen würde. Auch die Frauen, die an dem durch die Mammographie entdeckten Brustkrebs trotz Therapie sterben, müssen sich mit der Diagnose „Mammakarzinom“ frühzeitiger auseinandersetzen, ohne dass die Sterblichkeit hierdurch gesenkt wird. Die Mammographie, als Röntgenuntersuchung, birgt außerdem das – wenn auch geringe – Risiko, durch die Strahlung selbst einen Krebs auszulösen. Forschungen gehen etwa davon aus, dass eine von 10.000 Frauen, die sich regelmäßig einer Mammographie unterziehen, erst durch das Screening an Brustkrebs erkrankt (Mettler F. A. et al.: Cancer 77; 1996; S. 903-909).

Hinzu kommen außerdem die hohen Kosten für die Geräte und die Untersuchungen, die, laut Koubenec, in vielen Fällen in keinem Verhältnis zu dem Nutzen stehen. (Koubenec H.-J.; Mammographie-Screening – überschätzen wir den Nutzen?; Berliner Ärzte 8/2000; http://www.brustkrebs-info.de/patienten-info/index.php?datei=patienten-info/mammographie-screening/screening_nutzen.htm).

Bei Brustkrebs, der bereits im Frühstadium durch die Mammographie entdeckt wird, handelt es sich fast immer um das Intraduktale Karzinom in situ (DCIS). Es ist nicht ganz sicher, ob das DCIS in jedem Fall zu wucherndem Brustkrebs führt. Experten gehen aber davon aus, dass etwa 50 Prozent der früh erkannten Karzinome erst nach 10 bis 20 Jahren ausbrechen. Dennoch werden die meisten Frauen direkt behandelt, etwa durch gänzliche Entfernung der Brust oder durch eine Entfernung des Tumors, teilweise auch mit zusätzlicher Bestrahlung (Silverstein M. J.: Brit. Med. J. 317;  1998; S. 734-739).

Eine groß angelegte Deutsche Mammographie-Studie mit insgesamt 58647 Untersuchungen bei 33353 Patientinnen aus dem Jahr 1994 kam damals zu dem Ergebnis, dass viele Mediziner die Aufnahmen nicht richtig interpretieren können, beispielsweise Tumoren entdecken, wo keine sind, oder Karzinome nicht als solche erkennen.

Das liegt zum einen an den Geräten und den Aufnahmen, zum anderen aber auch an dem mangelnden Fachwissen und der zu seltenen Teilnahme an Fortbildungen. Außerdem kritisierten die Autoren damals fehlende Doppelbefunde, die das Risiko von Fehlinterpretationen verringern könnten. Es wurden in vielen Fällen keine weiteren histologischen Untersuchungen durchgeführt, um eine falsche Diagnose auszuschließen, so dass viele Frauen behandelt wurden, ohne dass sie an Brustkrebs erkrankt waren. Die Studie zeigte klar, dass eine ausgiebige Tastuntersuchung der Mammographie vorzuziehen ist, solange die beschriebenen Mängel nicht behoben sind (Robra B.P. & Dierks M.L.: Die Deutsche Mammographie-Studie. Auftrag, Kooperationsstruktur, Ergebnisse und Konsequenzen; Z Arztl Fortbild Qualitatssich 1997;(91); S. 537-541).

Nicht nur die Geräte wurden immer weiterentwickelt, auch bieten Brustzentren ihren Mitarbeitern Fortbildungen und Seminare an, um eine möglichst hohe Qualitätssicherung zu gewährleisten. So gibt es von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizierte Brustzentren, die vielen Anforderung entsprechen müssen (http://www.senologie.org/download/pdf/anforderungen.pdf). Deshalb wurde, trotz der Bedenken aus den 90er Jahren, 2005 ein nationales Mammografie-Screeningprogramm eingeführt, wobei nur die ausgewiesenen Zentren mit ihren spezialisierten Fachkräften die Untersuchungen durchführen dürfen. Dabei sollen alle 50- bis 69-jährigen Frauen aufgerufen werden, sich einer regelmäßigen Brustkrebs-Vorsorge zu unterziehen (http://www.g-ba.de/informationen/aktuell/pressemitteilungen/43/).

Dennoch ist der Nutzen weiterhin umstritten. So zeigt eine kanadische Studie, dass eine gezielte Tastuntersuchung durch die Frau selber oder einen Gynäkologen ebenso gute Resultate erzielt wie die teure und strahlenbelastete Mammographie (Narod S. A.: Lancet 349; 1997; S. 1846). Im Brustzentrum Mainz stellten die Mediziner mit Überraschung fest, dass eine Patientin ihre nur 7 Millimeter großen Knoten in der Brust selbst ertasten konnte (http://www.klinik.uni-mainz.de/brustzentrum/data/eins_zu_neun_Besuch_im_Brustzentrum.pdf).

Nicht ohne Grund halten es deshalb viele Experten für sinnvoll, den Frauen schon im jungen Alter beizubringen, wie sie ihre Brüste selber abtasten und auf Veränderungen hin untersuchen können.

Noch einen Schritt weiter geht der Duisburger Gynäkologe Dr. med. Frank Hoffmann. Er nutzt die unglaublichen Fähigkeiten von Blinden für die Untersuchungen der Frauen. Denn bei ihnen ist der Tastsinn besonders gut ausgeprägt. Das Projekt „discovering hands®“ wird mittlerweile in mehreren Praxen durchgeführt. Jährlich werden etwa 20 blinde Mitarbeiterinnen als medizinische Hilfskräfte ausgebildet. Zwar müssen die meisten Patientinnen das Abtasten aus eigener Tasche zahlen (etwa 30 Euro), aber die Medizinischen Tastuntersucherinnen (MTUs) entdecken oft Knoten einer Größe von nur 4 Millimetern, während Gynäkologen etwa ab 10 Millimetern fündig werden (mithilfe der Mammographie hingegen erkennen gute Brustspezialisten Knoten oft erst ab 5 Millimeter. (http://www.rheinruhrmed.de/interviews/blinde_ertasten_knoten_in_der_brust_krebsvorsorge_dr_hoffmann.html).

Obwohl Hoffmann selber die Tastuntersuchung nicht als Alternative zur Mammographie, sondern lediglich als zusätzliche Option für noch größere Sicherheit betrachtet, könnte sie für viele Frauen doch die erste Wahl werden. Vor allem Frauen unter 50, bei denen die Mammographie besonders viele Fehler aufweist und die deshalb für das flächendeckende Screening in Deutschland auch nicht vorgesehen sind, entscheiden sich daher lieber für die Tastuntersuchung durch eine MTU, wenn dies in der Praxis angeboten wird.

Dänische Forscher gehen außerdem davon aus, dass etwa jede dritte Brusttherapie unnötig ist, da die bei der Mammographie gefundenen Karzinome nicht weiterwachsen, im Laufe der Zeit wieder verschwinden oder sich so langsam ausbreiten, dass sie ebenfalls im Laufe des gesamten Lebens nicht in Erscheinung treten. Bei Betrachtung der Frühformen, die ebenfalls behandelt werden, steigt der Anteil der „Überdiagnose“ sogar auf 52 Prozent (Jorgensen K. J., Zahl P. H. & Gotzsche P. C.: Overdiagnosis in organised mammography screening in Denmark. A comparative study; BMC Womens Health. 2009; 9(1); S. 36). Deutsche Experten kritisieren die Forschungsergebnisse und gehen selber davon aus, dass auf ein gerettetes Leben durch die Früh-Diagnose nur eine Überdiagnose kommt.

 

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